• Allgemeine Informationen
  • Schlafbezogene Anamnese bei Schlafstörungen
  • Klassifikation von Schlafstörungen (ICD 10)
  • Schlafhygienische Maßnahmen
  • Schlafstörungen und Behinderung
  • Quellen

 

1. Allgemeine Informationen

  • Schlaf äußert sich als Bewusstseinsminderung, die jederzeit durch äußere oder innere Reize unterbrochen oder beendet werden kann. Schlaf dient der Regeneration des Körpers und vermutlich Lern- und Gedächtnisleistungen, sowie der Funktion des Immunsystems und regenerativen Stoffwechselprozessen.
  • Bei Säuglingen liegt die Gesamtschlafzeit am Tag bei etwa 16 Stunden, sie nimmt bis etwa zum 30. Lebensjahr ab, bleibt dann lebenslang auf einem ähnlichen Niveau, welches jedoch individuell stark differieren kann.
  • Ist Erholung durch Schlaf nicht gewährleistet, sind Störungen kognitiver Fertigkeiten bis hin zu schweren Fehlleistungen (z.B. beim Autofahren) mögliche Folgen. Bei anhaltenden Schlafstörungen kann das subjektive Missempfinden zu einer Reduktion der Leistung den Alltagsanforderungen zu entsprechen führen.
  • Epidemiologie: Störungen des Schlafes treten bei bis zu 25% der Bevölkerung auf. Sie stellen ein häufiges Phänomen westlicher Industrienationen mit hoher sozialmedizinischer und gesellschaftlicher Relevanz dar.
  • Unterschieden wird eine zyklische Abfolge von 5 Schlafstadien.
    • Stadien 1-4 als Non-REM Stadien:
      • Stadium 1-2 Leichtschlaf (etwa 55-60% der Gesamtschlafzeit)
      • Stadium 3-4 Tiefschlaf (etwa 15-25% der Gesamtschlafzeit); Weckbarkeit nimmt von Stadium 1 zu Stadium 4 immer weiter ab.
      • Stadium 5: REM Schlaf (auch paradoxer oder aktiver Schlaf; etwa 20-25% der Gesamtschlafzeit): Herz- und Atemaktivität sowie Hirndurchblutung sind gesteigert, plastische und emotionale, gegen Morgen hin oft bizarre und weniger realitätsbezogene Trauminhalte.

 

2. Schlafbezogene Anamnese bei Schlafstörungen

  • Symptomatik genau erfassen (Ein-/Durchschlafstörung; Schlafdauer, Tagesmüdigkeit; Einschlafattacken; Leistungseinbußen; begleitende körperliche (brennen, kribbeln in den Beinen) und psychische (grübeln, Anspannung, Wut, Ärger) Symptome; Dauer; Häufigkeit; Umstände, die zur Verbesserung/ Verschlechterung führen; Vorbehandlung)
  • Umgebungsbedingungen während der Ruhezeit erfassen (Lärm; Temperatur; Licht; Schlafgelegenheit; Bettpartner)
  • Schlafgewohnheiten erfassen (Nickerchen; Tag-Nacht-Rhythmus; im Bett verbrachte Zeit; Abendgestaltung)
  • Probleme des zirkadianen Rhythmus erfassen (Schichtarbeit; Jetlag)
  • aktuelle und frühere körperliche Beschwerden oder Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik bekannt?
  • psychische Erkrankungen oder psychologische Faktoren vorliegend?
  • Drogen- oder Medikamentenanamnese
  • Familienanamnese
  • Fremdanamnese (Vergleichsmöglichkeit zwischen eigener und fremder Einschätzung)

 

3. Klassifikation von Schlafstörungen (ICD 10)

  • Dyssomnien (F51.0 - F51.2) werden unterschieden in inintrinsische Schlafstörungen (organisch oder psychisch bedingt) und extrinsische Schlafstörungen (äußere Bedingungen wie Lärm etc.), sowie Störungen des zirkadianen Rhythmus (z.B. Jetlag, Schichtarbeit).
    • Intrinsische, organische, primäre Schlafstörungen: Typischerweise Einschlaf- Durchschlafstörungen und schlechte Schlafqualität min. 3 mal pro Woche über einen Zeitraum >= 1 Monat; anhaltende Besorgnis der Patienten zur Schlafqualität in der kommenden Nacht, hierdurch erhöhte Anspannung und Stabilisierung der Problematik. Prävalenz bei etwa 5-10%. Zur Diagnostik müssen organische und psychische Ursachen ausgeschlossen sein. Schlaftagebuch stellt Möglichkeit zum Erkennen von Reiz-Reaktionsverknüpfungen dar. Kognitiv-verhaltenstherapeutisches Kurzzeitprogramm in Gruppe zeigt gute Wirksamkeit, Beratung zu Schlafhygiene und Anleitung zu Entspannungsverfahren sind wichtig. Zu den intrinsischen Dyssomnien zählen z.B. das Schlafapnoe-Syndrom, die Narkolepsie oder das Restless-legs Syndrom.
    • Extrinsische Schlafstörungen: verursacht durch äußere Faktoren wie Lärm, Licht, Wärme, nächtliches Essen/trinken, inadäquate Schlafhygiene, Einnahme von Alkohol, Medikamenten oder Drogen. Lassen sich in der Regel durch Beseitigung des äußeren Faktors beheben, es kommt jedoch auch vor, dass die extrinsische Schlafstörung in eine intrinsische übergeht. Zu Störungen des zirkadianen Rhythmus (Schwierigkeiten zu üblichen Zeiten zu schlafen, tagsüber oft müde und reduzierte Leistungsfähigkeit; Desynchronisation zwischen Schlaf-Wach-Rhythmus und zirkadianen Abläufen wie Kortisol- Ausschüttung, Körpertemperatur), kommt es besonders häufig bei Schichtarbeitern und Zeitzonenwechseln.
  • Parasomnien (F51.3 - F51.5): Störungen, die beim (partiellen) Erwachen oder dem Wechsel von Schlafstadien auftreten, sie unterbrechen den Schlaf (Schlafwandeln, pavor nocturnus, Alpträume, Enuresis nocturna)
  • Schlafstörungen bei körperlichen Erkrankungen: Viele internistische und neurologische Erkrankungen können zu Schlafstörungen führen, z.B. Lungenkrankheiten, chronische Nierenkrankheiten, chronische Infektionen, rheumatische Erkrankungen, degenerative Hirnerkrankungen u.a.. Auch viele Medikamente zur Behandlung organischer Erkrankungen können Schlafstörungen verursachen, z.B.: Betablocker, Asthma-Medikamente, Antiepileptika, Antibiotika, Hormonpräparate, Acetylsalicylsäure, Diuretika, antriebssteigernde Antidepressiva, Hypnotika (v.a. Benzodiazepinpräparate), Stimulantien und Genussmittel wie Koffein, Alkohol, Nikotin.
  • Schlafstörungen bei psychischen Erkrankungen: Gestörter oder oberflächlicher Schlaf tritt besonders häufig bei akuten affektiven Störungen, Schizophrenien oder dementiellen Erkrankungen auf. Auch bei Missbrauch oder Abhängigkeit von psychotrop wirksamen Substanzen wird von Schlafproblemen berichtet.

 

 4. Schlafhygienische Maßnahmen

  • regelmäßige nächtliche Schlafzeit mit Bettzeiten von max. 8 Stunden auch an Wochenenden; kein Schlafen tagsüber oder abends vor dem Fernseher.
  • Abstinenz von Alkohol und koffeinhaltigen Getränken nach dem Mittagessen
  • abends keine schweren Mahlzeiten einnehmen
  • regelmäßige körperliche Aktivität, nicht jedoch am späteren Abend
  • Verringerung geistiger und körperlicher Aktivitäten vor dem Zubettgehen
  • Einschlafritual entwickeln
  • kein Arbeiten oder Fernsehen im Bett
  • abgedunkelte und ruhige Schlafumgebung
  • in der Nacht nicht auf die Uhr schauen

([12], S. 337-352)

 

5. Schlafstörungen und Behinderung

  • Die Prävalenz für Schlafstörungen bei Menschen mit intellektueller Behinderung liegt zwischen 13-86%
  • Häufigkeit nimmt mit Schwere der Behinderung zu
  • Treten gehäuft auf bei Personen mit Autismus, chromosomalen Abweichungen (Aufwachen, Durchschlafstörungen) und Personen mit Prader-Willi-Syndrom (erhöhtes Schlafbedürfnis)
  • Hinweise, dass Schlafmuster (s.o.) bei intellektueller Behinderung abweichend sind: Kürzerer REM Schlaf, schwächer ausgeprägter Non-REM-Schlaf; organische Schäden, genetische Abweichungen werden ursächlich angenommen, situative Umgebungsfaktoren wenig erforscht.
  • Chronische Müdigkeit mangels ausreichendem Schlaf kann zu aggressivem, hyperaktivem, reizbarem Verhalten führen sowie depressive Störungen, Angststörungen und Aufmerksamkeitsprobleme begünstigen.
  • Erregungsniveau des Gehirns (Arousal) meist reduziert, kann zu Novelty-seeking-behavior führen: Es werden gezielt riskante oder gefährliche Situationen aufgesucht, um das Arousalniveau zu steigern.
  • Schlafmuster hat offenbar wesentlichen Einfluss auf Verhaltensauffälligkeiten, jedoch ist unklar, ob dies Ursache oder Folge ist.
  • Pädagogische Strategien: Umfassende Information der Umwelt über grundlegende physiologische Bedürfnisse; stabile Regelmäßigkeit von Aktivität/ Inaktivität, Strukturierung der Umweltbedingungen bezüglich räumlicher Gestaltung und sensorischem Input
  • Medizinische Strategien: Behandlung somatischer Probleme (z.B. bei Behinderung der Atemwege) und Pharmakotherapie. Klassische Schlafmittel sollten bei intellektuell behinderten Menschen nicht eingesetzt werden, da sie die ohnehin verkürzte REM-Phase unterdrücken; kurzfristig ist mit klassischen Schlafmitteln eine Besserung herzustellen, bei längerfristigem Gebrauch reduziert sich die Wirkung, die Nebenwirkungen überwiegen. Vorzuziehen sind Sedativa (v.a. Benzodiazepine), Neuroleptika, Antidepressiva und Melatonin.
  • Verhaltensorientierte Strategien: Extinktion (Entkopplung von Reiz und Reaktion) nach gründlicher Umgebungsanalyse; Chronotherapie (Schlaf- Wach-Rhythmus an realen Tagesablauf anpassen); Schlafentzug wenn Person zu lange im Bett bleibt; Lichttherapie zur Beeinflussung der biologischen Uhr.
  • Fast immer werden Schlafstörungen im Kontext der gesamten psychosozialen Situation einer Person zu betrachten sein. Bei Kindern sind oft Trennungsängste eine Ursache.

([11] ,S. 128-133)

 

  • Der mögliche Zusammenhang zwischen Verhaltensauffälligkeiten (z.B. Aggression, Unruhe) mit Schlafstörungen wird oft übersehen, es wird kein Zusammenhang hergestellt.
  • Schlafrelevante Informationen müssen systematisch erfasst werden, psychosoziale Faktoren und organische Faktoren (Epilepsie, Down-Syndrom, Prader-Willi-Syndrom etc.) sind zu berücksichtigen (vgl. oben Schlafbezogene Anamnese)
  • werden den Schlafrhythmus beeinflussende Umweltfaktoren aufgrund fehlerhafter Wahrnehmung oder Reizverarbeitung nicht registriert, so dass es zu einer fehlerhaften Synchronisation des Schlafs mit der Umwelt kommt.
  • Interaktionsprobleme mit der Folge emotionaler Belastung sind zu beachten.
  • Reaktionen auf das nicht Einschlafen, Schreien oder Aufstehen können operant konditionierend negativ verstärkend wirken; vermutlich hält auch im Zusammenhang mit anderen Verhaltensauffälligkeiten ein unsicher inkonsequentes Erziehungsverhalten die Problematik aufrecht.
  • Therapieplan sollte Konditionierungsprozesse berücksichtigen; Schwerpunkt liegt auf kontigentem Verhalten. Zu den in der Verhaltensbeobachtung festgestellten kritischen Zeiten werden in geregeltem Abstand Kontrollen der Bezugsperson im Zimmer festgelegt um zu schauen, ob alles in Ordnung ist. Außerhalb dieser Zeiten wird das Zimmer nicht betreten. Verlässt der Betreute das Zimmer nachts, wird er schweigend und sanktionsfrei ins Zimmer zurückgeführt. Morgendliches Wecken zu festgelegter Zeit, bei störungsfrei verlaufener Nacht mit positiver Verstärkung. Möglicher Medikamenteneinsatz lt. Literatur (Stand 2007; relevant sind immer nur aktuelle und schriftliche Anordnungen des behandelnden Arztes!): Niederpotente Neuroleptika, Antidepressiva, Benzodiazepine und Non-Benzodiazepinhypnotika (z.B. Zolpidem)

([4]; S. 107-109)

 

 

Quellen

Dosen, A. (2010). Psychische Störungen, Verhaltensprobleme und intellektuelle Behinderung. Ein integrativer Ansatz für Kinder und Erwachsene. Göttingen: Hogrefe.

Lieb, K., Frauenknecht, S. & Brunnhuber, S. (2011). Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie. München: Urban & Fischer.

Schanze, C. (2007). Psychiatrische Diagnostik und Therapie bei Menschen mit Intelligenzminderung. Ein Arbeitsbuch für Ärzte, Psychologen, Heilerziehungspfleger und -pädagogen. Stuttgart: Schattauer.

[12] Lieb, K., Frauenknecht, S. & Brunnhuber, S. (2011). Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie. München: Urban & Fischer.

[11] Dosen, A. (2010). Psychische Störungen, Verhaltensprobleme und intellektuelle Behinderung. Ein integrativer Ansatz für Kinder und Erwachsene. Göttingen: Hogrefe.

[4] Schanze, C. (2007). Psychiatrische Diagnostik und Therapie bei Menschen mit Intelligenzminderung. Ein Arbeitsbuch für Ärzte, Psychologen, Heilerziehungspfleger und -pädagogen. Stuttgart: Schattauer.

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Selbstbestimmung und Interpretation

"Über den Begriff Selbstbestimmung ist in Bezug auf Menschen mit Assistenzbedarf bereits viel publiziert worden (...). Ein zentraler Punkt ist hierbei die Interpretation des Begriffs. Selbstbestimmung bedeutet nicht, dass sich behinderte Menschen selbst überlassen sind oder, wie eine Mitarbeiterin berichtete [...]. Selbstbestimmung bewegt sich immer im Spannungsfeld zwischen dem, was eine Person für sich selber möchte (individuelle Kategorie) und dem, was im Kontext einer Gruppe bzw. der Gesellschaft möglich ist (soziale Kategorie) (Theunissen, Plaute 1995)" (S. 79)

Niehoff, U. &Schablon, K.-U. Selbstbestimmung und Teilhabe: Welches Rüstzeug brauchen professionelle Unterstützer? In: Hähner, U., Niehoff U., Sack, R. Walther H. (2005). Kompetent begleiten: Selbstbestimmung ermöglichen, Ausgrenzungen verhindern!. Die Weiterentwicklung des Konzepts »Vom Betreuer zum Begleiter«. Marburg: Lebenshilfe Verlag.